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In den Hügeln von Hezbollywood
07.08.2006 - 14:07 von Webmaster

6. August 2006
von Harald Staun



Große Bedeutung: Medienarbeit im Libanon


Von allen Bildern, die dieser Krieg bisher hervorgebracht hat, waren diese bisher die schrecklichsten, die Bilder der toten Kinder von Kana, die unter dem dreistöckigen Gebäude begraben wurden, als es ein Luftangriff der israelischen Armee zum Einsturz brachte. Und daß der Streit um die genaue Anzahl der Opfer, die mittlerweile von 54 auf 28 korrigiert wurde, darunter nach aktuellen Angaben 16 Kinder, noch voll im Gange ist: das wird an ihrer Wirkung kaum etwas ändern.

Es half auch nichts, daß man alles schon einmal gesehen hatte, die wütenden Väter und die weinenden Mütter und all die anderen toten Kinder in all den anderen Kriegen. Die Bilder waren natürlich längst ein Klischee, aber das machte sie nicht erträglicher. Und nicht nur, wer sie im Internet sah, wollte sie am liebsten sofort wegklicken.


Genauer hinschauen, um die Regeln zu erkennen


Es ist längst eine hohle Floskel, daß auch dieser Krieg ein Krieg der Bilder ist. Diese Erkenntnis ist ja nicht unbedingt falsch; aber ein wenig unscharf ist sie schon. Und deshalb muß man, um die Regeln dieses Krieges ein wenig besser zu erkennen, dann leider doch sehr genau hinschauen auf die grauenhaften Bilder, die er produziert: Man muß sich beispielsweise das Kind anschauen, das am Tag nach dem Angriff auf Kana auf den Titelseiten der internationalen Presse zu sehen war.

Ein totes Kind in den Armen eines schreienden Mannes, Dreck und Staub hatten es mit einem einfarbigen Firnis überzogen, der auf manchen Bildern schmutzigbraun aussah, auf anderen kreidebleich, was aber beides einen sehr effektiven Hintergrund für das wohl wirkungsvollste Detail des Bildes lieferte, eine hellblaue Plastikkette, an deren Ende ein sehr eindeutiges Symbol hing, ein „stummes Zeugnis für das tragische Ende des unschuldigen Opfers“, wie die englischsprachige Tageszeitung „Arab News“ aus Saudi-Arabien kommentierte: ein Schnuller. Daß die Symbolkraft des Bildes davon verstärkt wird, daß das englische Wort für den Beruhigungssauger „pacifier“ lautet, was auch begrifflich den visuellen Friedensappell unterstreicht, dabei muß man zunächst einmal von einem Zufall ausgehen.


„Der Mann mit dem grünen Helm“


Was wirklich passierte in Kana, davon erzählt dieses Bild wenig, und trotzdem muß man nicht zwangsläufig an die Verschwörungstheorie glauben, die unter einer Reihe von proisraelischen Bloggern derzeit die Runde macht. Sie dreht sich um den Retter des Kindes, der meist nur als „der Mann mit dem grünen Helm“ bezeichnet wird und der, weil er offensichtlich auf mehr Bildern auftaucht, als es mit reinem Fleiß zu erreichen ist, für einen Hizbullah-Agenten gehalten wird, der eher bei der Inszenierung als bei der Bergung der Toten behilflich war.

Das deutlichste Indiz für die Vorwürfe sind die Zeitangaben der Fotos verschiedener Nachrichtenagenturen, die nicht nur nahelegen, daß der allgegenwärtige Helfer über vier Stunden mit der geborgenen Leiche von Kamera zu Kamera gelaufen ist - sondern daß er das tote Kind bereits den Fotografen präsentierte, bevor er es später aus den Trümmern des Hauses zog.


„Hezbollywood“, die makabre Show in Kana


Wobei der Mann mit dem Helm nicht die einzige Ungereimtheit der Vorfälle in Kana ist. Der lange Abstand zwischen der Bombardierung des Gebäudes und seinem Zusammenbruch führt zu Zweifeln am direkten Zusammenhang beider Ereignisse, und einige Beobachter stellten gar per medialer Ferndiagnose fest, daß bei den seltsam steifen Körpern der Kinder offensichtlich längst die Leichenstarre eingesetzt hatte - was üblicherweise erst Stunden nach dem Tod geschieht.

„Hezbollywood“ nennen die Blogger die makabre Show in Kana, was ein ganz origineller Begriff für den Verdacht ist, die Hizbullah habe bei den Vorfällen ein wenig Regie geführt. Ganz unabhängig von den unterstellten Fälschungen, für die es womöglich sehr einfache Erklärungen gibt, trifft er die mediale Situation ganz gut. Man braucht allerdings gar keine Verschwörungstheorie, um zu erkennen, daß es sich bei den Bildern natürlich um eine Inszenierung handelt.


„Vielen Dank, Condoleezza Rice“


Auf einem der Fotos etwa hält der vermeintliche Retter das tote Kind wie eine Trophäe über seinen Kopf - eine Geste, die ohne Kameras völlig lächerlich wäre. Doch auch jene Szene gehört längst zum Repertoire beliebter Kriegsmotive - und man muß kein Hizbullah-Agent sein, um seine Rolle darin richtig zu spielen. Im Zweifelsfall haben auch die Opfer im Fernsehen gelernt, welche Pose sie einzunehmen haben; daß sie nicht einem Fotografen oder Kameramann gegenüberstehen, der so etwas wie die Wirklichkeit dokumentiert, sondern der Weltöffentlichkeit.

Sie schreien nicht aus Trauer, sondern um gehört zu werden. „Unsere Reporter“, sagte der Deutschland-Korrespondent des arabischen Nachrichtensenders Al Dschazira vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“, „unsere Reporter wurden in Kana massiv von verzweifelten Vätern bedrängt, die ihre toten Kinder in die Kamera hielten und schrien: ,Zeigt das Kofi Annan' oder ,Vielen Dank, Condoleezza Rice'.“


Bei Medienaktivisten und Werbern hoch im Kurs


Daß aber die libanesischen Eltern ihre Kinder überhaupt auf die globale Bühne dieses Dramas legen, ganz gleich, wo und wie sie getötet worden sind, daß sie also ganz zweifellos unschuldige Opfer als Währung im Geschäft mit der Aufmerksamkeit handeln, das paßt perfekt ins Bild der feigen und mit unlauteren Mitteln kämpfenden Kriegspartei. Auf der Ebene der Bilder setzt sich fort, was in der politischen Theorie als asymmetrische Kriegsführung bezeichnet wird: der Kampf zweier Gegner mit höchst unterschiedlichen Mitteln.

So problematisch der Begriff ist, weil er suggeriert, daß es allgemeinverbindliche Regeln gäbe, die eine faire Kriegsführung gewährleisteten - eine Art völkerrechtlichen Ehrenkodex, der etwa das Tragen eindeutig zu erkennender Uniformen vorschreibt, so sehr setzt sich die Argumentation in der Beschreibung der unterschiedlichen medialen Taktiken fort: Mit ikonographischen Guerrillamethoden kämpft die Hizbullah gegen die große PR-Maschine Israels. Nicht zufällig stehen die Strategien der unkonventionellen Kriegsführung bei Medienaktivisten und Werbern schon lange hoch im Kurs.


„All inclusive“-Betreuung für die Journalisten


Jetzt holen sich die echten Kombattanten die Waffen zurück, die Kommunikationsguerrilla und Guerrillamarketing weiterentwickelt haben. Mit Erfolg: Die Bilder des libanesischen Leids beherrschen die Medien - und selbst den amerikanischen Nachrichtensendern, die nicht unbedingt dazu neigen, die arabische Seite als Opfer dieses Krieges darzustellen, fällt es gelegentlich schwer, die Aufnahmen toter Libanesen mit israelfreundlichen Kommentaren zu unterlegen.

Doch ist die schwerfällige Medienmaschinerie Israels wirklich so wirkungslos im Dschungel der modernen Kommunikation? Es wäre schon ein Wunder, wenn nicht auch die perfekte PR-Arbeit Israels ihre Wirkung zeigte. Von einer „All inclusive“-Betreuung der Journalisten sprach kürzlich der „Spiegel Online“-Korrespondent Matthias Gebauer. Mit täglichen Anrufen und unzähligen E-Mails kümmerten sich die PR-Offiziere des „Government Press Office“ um die akkreditierten Reporter.


Augenzeugen und Kontakte einfach per Mail


„Ausgearbeitete Ideen für Reportagen, Busfahrt und Mittagessen inklusive, ausgewählte Experten zu Militärfragen - all das kommt von ganz allein“, schreibt Gebauer. Wobei es nicht unbedingt nötig sei, persönlich in die Krisengebiete aufzubrechen: Nach Katjuscha-Einschlägen erhalte man ohnehin „schnell per Mail eine Liste mit Augenzeugen und Mobilnummern. (. . .) Auf jeder der Listen sind Augenzeugen, die verschiedene Sprachprofile haben.“

Ähnliche Erfahrungen beschreibt der niederländische Journalist Joris Luyendijk in einem neuen Buch. Bei der Reportage über einen Vorfall in der Westbank wurde er von einem israelischen Pressezentrum vor Ort bestens mit vorgefertigten Zitaten und Wegbeschreibungen ausgestattet. Als er dagegen versuchte, den palästinensischen Presse-Offizier zu erreichen, ging niemand ans Telefon.


„Die öffentliche Meinung gewinnt heute Konflikte“


Und selbstverständlich hat auch Israel längst das Internet entdeckt. Ende Juli verschickte das Israelische Generalkonsulat in New York eine Rundmail mit der Ankündigung des „Megaphone Desktop Tools“ - einer einfachen Software, die aktuelle Meldungen zum Nahost-Konflikt aussiebt und direkt auf den Rechner der Benutzer lädt. Umfragen gehören ebenso zur Auswahl, über deren Ausgewogenheit man nicht lange spekulieren muß, wie Links zu antiisraelischen Artikeln in Blogs und Internet-Magazinen - mit der Aufforderung, die tendenziösen Beiträge per Kommentar zu entkräften. „Viele von uns haben erkannt, daß das Internet das neue Schlachtfeld ist, um Israels Position zu erklären“, steht in der Mail. Und auf der Website heißt es entsprechend: „Heutige Konflikte werden durch die öffentliche Meinung gewonnen.“

Auch das sind nicht unbedingt neue Erkenntnisse, doch eine Konsequenz wird häufig übersehen: Im Medienkrieg sind auch die Zuschauer Soldaten. Nicht nur die Armada der Blogger beteiligt sich am Stellungskampf der Fakten und Meinungen; auch die öffentliche Diskussion konzentriert sich längst auf die medialen Aspekte des Krieges. Die „Falle“, als die etwa die hinterhältige Taktik der Hizbullah bezeichnet wird, sich zwischen Zivilisten zu verstecken, ist ja keine militärische. Ihr Opfer ist nicht die Armee Israels, sondern sein Image.


Zwischen Hilferufen und Luftaufnahmen


Auch in den Medien selbst findet dabei mittlerweile so etwas wie eine asymmetrische Kriegsführung statt - wobei in diesem Fall die Fronten nicht zwischen den politischen Akteuren verlaufen. Während sich die sogenannten alten Medien mit ethischen Fragen auseinandersetzen müssen und sich dabei mehr oder weniger an etablierten journalistischen Grundsätzen orientieren, verzichten die meisten Blogger ganz bewußt auf Neutralität oder Selbstzensur. Längst tobt im Netz ein unübersichtlicher Kleinkrieg zwischen den Propagandavideos der Hizbullah und israelischen Musik-Clips, die sich über Hassan Nasrallah lustig machen, zwischen Hilferufen aus zerstörten Wohngebieten in Beirut und Luftaufnahmen von Katjuscha-Abschußrampen.

Die Wahrheit, so heißt es, ist das erste Opfer des Krieges. Und dennoch ist es eher ein absurder Reflex, die medialen Fakes und Inszenierungen zum größten Problem moderner Kriege zu machen. Die Tragödie besteht ja nicht darin, daß die Bilder oft nur sehr wenig mit der sogenannten Wirklichkeit zu tun haben, sondern immer noch zuviel. Man würde sich ja wünschen, daß alles nur ein Kampf der Bildsysteme wäre, ein symbolischer Wettstreit, dem man als unbeteiligter Zuschauer folgen kann wie einer harmlosen Nachmittags-Talkshow. Aber die blöde Realität: Sie ist einfach nicht totzukriegen.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 06.08.2006, Nr. 31 / Seite 25

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) - http://www.faz.net/s/Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~E98DC88C0324640BA9985B73B00E5D523~ATpl~Ecommon~Scontent.html


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